Geschichte

Die Geschichte Kehmstedts

Ein Überblick

Herzlichen Dank an Reiner Mohrig für die Zurverfügungstellung der historischen Kehmstedter Ansichtskarten im Rahmen unseres Dorffests "925+1 Jahre Kehmstedt"!


Einige Worte zur Einführung


Der folgende Überblick zur Geschichte Kehmstedts ist der Kehmstedter Dorfchronik entnommen, deren Inhalte und Texte in mühevoller Recherchearbeit von Kirsten Wille (†) zusammengetragen und erstellt wurden.


Weitere Informationen dieses geschichtlichen Überblicks stammen aus der Broschüre der Gemeinde Kehmstedt (Hg.): 900 Jahre Kehmstedt. 1093-1993. Kehmstedt 1993, sowie dem Dorfentwicklungsplan Kehmstedt 2006-2010 des Planungsbüros Uwe Siegel.



Die Inhalte unserer Chronik reichen von der ersten urkundlichen Erwähnung Kehmstedts im Jahre 1093 bis ins 21. Jahrhundert.


Während die Geschichte von 1093 bis in die 1980er Jahre überblicksartig zusammengefasst ist und zu großen Teilen im Folgenden wiedergegeben wird, sind für die Jahre 1987 bis 2000 ausführliche Einträge in unserer Chronik vorhanden.



Bei Interesse können die Dorfchronik oder eine digitale Kopie eingesehen werden.

Bitte wenden Sie sich hierfür an unsere Bürgermeisterin Eva-Maria Ostwald.



Hortfund und erste urkundliche Erwähnung 1093

Ortsnamen mit der Endung -stedt (alt: -stede oder -stide) sind ihrer Entstehung nach um 800 n. Chr. einzuordnen, wobei "stede" soviel bedeutet wie "Stätte, Platz oder Wohnstätte". Der Name Kehmstedt könnte entsprechend soviel als "Stätte des Cemo" bedeuten.


Die erste urkundliche Erwähnung Kehmstedts datiert aus dem Jahre 1093, als die Grafen von Nordheim dem Kloster Bursfelde Güter in "Kehmstide et Belkerode" geschenkt haben.


Unterdessen zeugt der "Hortfund" zu Kehmstedt, der im September des Jahres 1906 beim Neubau der Straße von Kehmstedt nach Bleicherode von Erdarbeitern entdeckt wurde, von einer wesentlich früheren Zeit, nämlich der späten Bronzezeit (ca. 1.200 v. Chr. bis 800 n. Chr.). Der aus sechs verschiedenen Schwertern mit Griff, einem ohne Griff und einer Lanzenspitze bestehende Fund hat ein Gesamtgewicht von 5,36 kg Bronze und wird im Landesmuseum für Vor- und Frühgeschichte Halle (Saale) unter dem Titel "Das Zeitalter der Schwerter" ausgestellt.

Wenngleich keine sonstigen Überreste oder Merkmale menschlicher Betätigung in der näheren Umgebung des heutigen Kehmstedt aufgefunden werden konnten, so zeugen Hortfunde wie diese doch von einer sich zunehmend ausdifferenzierenden Gesellschaft und einem Zuwachs der Bedeutung und des Ansehens des Kriegerstandes in Mitteldeutschland.


Foto: © LDA Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták.

Wir danken dem Landesmuseum für Vor- und Frühgeschichte Halle (Saale) sehr herzlich für die Zurverfügungstellung dieser Fotografie.

Eine wechselvolle Geschichte bis ins

16. Jahrhundert

Im Laufe der Zeit wechselte der Name des Ortes öfters. So übertrug der Graf Heinrich von „Kerchberch“ 1295 das Eigentum von 3 Hufen Land in „Kemestede“ an Walkenried. 1527 hat das Kloster Ilfeld aus „Kemestedt“ Zins zu beziehen.

 

Die Gegend um Kehmstedt muss in früheren Zeiten weit stärker besiedelt gewesen sein. Neben Kehmstedt gab es noch weitere Orte, die heute wüst sind, so z.B. Böhlingen, Alterode, Welkerode, Wenigenkehmstedt u.a. Die Menschen lebten von Ackerbau und Viehzucht. Ursprünglich war sicher das Land vom Harze bis zur Unstrut Bestandteil des alten thüringischen Königreichs, fiel aber nach der Eroberung dieses durch die vereinigten Franken und Sachsen den letzteren als Beute zu.


Die Sachsen teilten ihr Land in Gaue, von welchen jeder seinen Gaugrafen oder Richter hatte. Der Harzgau, Helmegau und Ohmfeldgau lagen in unserer Gegend. Der Helmegau wird zuerst erwähnt im Jahr 961, als Otto I. dem Dom in Magdeburg einige Güter schenkte, die in dem selben lagen. Obwohl Kehmstedt als Pfarrkirche im Archidiaconatsregister von Wechsungen verzeichnet ist und demnach anzunehmen wäre, dass es zum Helmegau gehört habe, so nimmt man trotzdem an, dass sowohl Kehmstedt als auch die 3 anderen wüsten Orte daneben zum Ohmfeld gehört haben. Der Bach, an dem sie liegen, gehört dem Flussgebiet der Wipper, nicht dem der Helme an.

 

Die Bezeichnung "Gau" verschwand im Laufe der Zeit, an seine Stelle traten die Grafschaften Klettenberg und Lohra. Ursprünglich muss Kehmstedt zur Grafschaft Lohra gehört haben. Das Kehmstedter Tal mit den insgesamt 4 Dörfern scheint in unbekannter Zeit (möglicherweise um 1105) von den Grafen von Lohra an die von Klettenberg abgetreten worden zu sein.

 

Im 13. Jahrhundert aber gerieten die Grafen von Klettenberg mit dem benachbarten, aufstrebenden Grafengeschlecht der Hohnsteiner in Fehde. In der Folge eigneten sich die Hohnsteiner immer mehr der gräflich Klettenbergischen Ländereien an, darunter 1253 auch das „castrum Clettenberg“, welches sie nach einer Urkunde von 1268 durch Kauf erworben hatten.

 

Zwischen 1327 und 1335 scheint auch die Grafschaft Lohra vollständig übergegangen zu sein auf die Grafen von Hohnstein, deren Besitzungen weit über die Grenzen des heutigen Kreises Nordhausen hinausgingen. Durch viele Erbteilungen aber wechselten einzelne Besitzungen ihre Herren.

 

Die Hohnsteinburg, die Stammburg, ging an die jüngere Linie, von dieser dann später an Stolberg. Die ältere Linie, Hohnstein-Klettenberg-Lohra, residierte in Lohra und Klettenberg. Im 14. Jahrhundert war mit Zustimmung des Kaisers ein Erbverbrüderungsvertrag zwischen den Hohnsteinern, Schwarzburgern und Stolbergern abgeschlossen worden.


Als am 8. Juli 1593 in Walkenried der letzte der Hohnsteiner Harzgrafen starb, beerbten ihn die beiden überlebenden Häuser. Entsprechend ließen sich die Grafen von Stolberg und Karl Günther von Schwarzburg in Elrich huldigen, wurden kurze Zeit später aber von den bischöflich-halberstädtischen Truppen vertrieben.


Der Bischof von Halberstadt, Herzog Heinrich Julius von Braunschweig, hatte die Grafschaft belehen lassen und gab diese an die rechtmäßigen Erben auch nicht heraus, obwohl ihre Klage beim Reichskammergericht Erfolg hatte. Dieser Rechtsstreit zog sich viele Jahre hin.


Foto: Auszug aus der Broschüre der Gemeinde Kehmstedt (Hg.): 900 Jahre Kehmstedt. 1093-1993. Kehmstedt 1993.

Kehmstedt im Dreißigjährigen Krieg

Noch vor der endgültigen Klärung des Rechtsstreits zwischen den Grafen von Stolberg, Schwarzburg und dem Bischof von Halberstadt besetzten 1625 kaiserliche Truppen unter dem Oberkommando Tillys die Grafschaft.

 

Im Februar 1628 überließ der verschuldete Kaiser Ferdinand II. die Grafschaft seinem Kammerherren, dem Grafen Christoph Simon von Thun als Pfand für einen erhaltenen Vorschuss. Dieser aber wurde des Pfandes nicht froh wegen der Kriegshandlungen und ständig wechselnden Besetzungen im Kehmstedter Raum. Letzten Endes wurde die Grafschaft direkt von Halberstadt „erobert“.

 

Im Westfälischen Frieden fiel sie als Teil des Bistums Halberstadt an das Kurhaus Brandenburg. Den Geschicken des Unterhändlers des Kurfürsten Friedrich Wilhelm bei den Friedensverhandlungen war es zu verdanken, dass die Grafschaft zu Brandenburg kam. Der Kurfürst fühlte sich seinem Geheimrat verpflichtet und belehnte ihn mit den halberstädtischen Lehnsgrafschaften Klettenberg und Lohra.

 

Aus dieser Zeit stammen auch die ersten Aufzeichnungen in der Gemeinde Kehmstedt selbst, und zwar im Kirchenbuch beginnend mit dem Jahr 1620. Außer dem Verzeichnis der Taufen, Trauungen und Sterbefälle hielten die Kehmstedter Pastoren Reinmann (ab 1620) und Rudolphi (ab 1636) im Kehmstedter Kirchenbuch auch einzelne Notizen zum Kriegsgeschehen des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) fest.

 

Zum Gedenken an Pastor Albertus Reinmann befinden sich in der Kehmstedter St. Martins-Kirche auch ein Relief und eine Gedenktafel, die folgende Geschichte festhält:

 

„Anno 1636, den 27. Juni, ist dieser ehrwürdige und wohlgelehrte Herr, Albertus Reinmann, von einem unartigen Pfarrkinde, seines Namens Melcher Kluasener, rach- und blutgierigen Herzens, auf dem Felde, am hohlen Wege genannt, mit einer Rodehacke mit vielen harten und abscheulichen Schlägen und Hieben so gräßlich und erbärmlich traktieret und beschädigt wurden, daß er in seine Pfarrbehausung getragen, bald, wenige Stunden hernach, sein Leben hat enden müssen“.

 

Die Rohheit der Untertanen war ein Produkt der damaligen Zeit, ein Ergebnis des bereits 18 Jahre währenden Krieges. Noch heute wird diese Feldflur, wo der Pastor Reinmann erschlagen wurde, als „Mordkopp“ bezeichnet. Am Ende des Dreißigjährigen Krieges lag die Landwirtschaft völlig darnieder. Ödes, unbestelltes Land fand sich überall in der Feldflur. Der stark dezimierte Viehbestand erholte sich nur langsam.


Foto: Claudia Heise in der St. Martins-Kirche Kehmstedt.

Die Pest in Kehmstedt 1682

Zu dem Kriegselend gesellte sich in diesen Jahren auch die Pest.


Von all den Seuchen, welche die Grafschaft Hohnstein im Laufe der Zeit heimgesucht hatten, ist dem Lande keine so verderblich geworden, wie die Beulenpest. Viele Male ist sie in Kehmstedt eingekehrt. 1348 bis 50 leerte sie unter dem Namen „Der schwarze Tod“ ganze Städte und Dörfer. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts weiß man nur wenig über die Verbreitung der Pest. Den Aufzeichnungen der Pastoren im Kirchenbuch ist es zu verdanken, dass einige konkrete Aussagen zu Verlauf und Auswirkungen der Krankheit erhalten geblieben sind, so auch zum letzten Ausbruch der Seuche 1682.

 

Erst vier Jahre zuvor hatte ein verheerender Brand den Ort hart getroffen, als nun die Pest im Jahre 1682 von Nordhausen nach Kehmstedt kam, wo sie 161 Opfer forderte und damit die Hälfte der Einwohnerschaft dahinraffte.


Pastor Andreas Reinemann vermerkte entsprechend im Kirchenbuch:

 

„1682. Merklich ist nun zu gedenken: Am 1. h[eiligen] Pfingsttage ist Orthia Klaubers älteste Tochter sehr krank worden, sich hin und her mit dem Kopfe gestoßen und des Abends gestorben. da denn alsobald sich herausgestellt, daß sie in Nordhausen an einem infizierten Orte etwas Leinenzeug möchte gekauft und angezogen haben; hat sich auch darauf alsobald die jämmerliche Contagion [Seuche] eingefunden und hiernach 3, 4, 5 alle Tage hingegriffen.“

 

Diesem ersten Opfer der Seuche, folgten bald viele weitere: Im Juni starben 9; aber schon im Juli waren es 45, und im August steigerte sich die Zahl der Todesfälle sogar auf 71. Im September sank die Zahl auf 30, und in den folgenden Monaten kamen nur noch vereinzelte Pestfälle vor.



Kehmstedt unter fremder Herrschaft

Nach den letzten Verheerungen der Pest sowie eines Brandes, der zwei Drittel der Gebäude des Dorfes, darunter die Pfarre, zerstörte, kehrte für beinahe 100 Jahre relative Ruhe in Kehmstedt ein.

Erst der Siebenjährige Krieg (1756-1763) brachte neues Leid: Einquartierungen, Plünderungen, Vorspanndienste für die Truppen und Zwangswerbungen gehörten zum Alltag. Dem Friedensschluss folgten wiederum nur wenige Jahrzehnte des Friedens, ehe sich mit Beginn des Septembers 1806 Napoleon Bonaparte anschickte,  Europa zu erobern. Mit dem Sieg von Jena und Auerstedt wurden die Franzosen zu den Herren unserer Heimat. Am Vorabend dieser preußischen Niederlage hatten die Bürger eine schlimme Hungersnot überstanden, Mißernten im Jahre 1804 infolge langanhaltender Regenfälle vom Januar bis Juni brachten große Not. Dazu kam nun die soziale Not, überall vollzogen sich die Aushebungen neuer Rekruten.

Hohe Kontributionen und drückende Naturallieferungen, häufige Durchmärsche, Gefangenenzüge und Fuhren mit Verwundeten begleiteten den Alltag der Kehmstedterinnen und Kehmstedter.

Die französische Militärstraße führte durch das Wippertal. Konnten Kranke und Verwundete nicht weiter, so quartierte man sie ohne Weiteres in der Gemeindeschenke ein und sie mussten auf Kosten der Gemeinde versorgt werden.


Am 9. Juli 1807 wurde das Hohnsteiner Land ein Teil des neu gegründeten Königreichs Westfalen unter König Jerome. Das Königreich wurde nach französischen Gesetzen aufgebaut und gliederte sich in 8 Departements, die wiederum in Verwaltungsdistrikte unterteilt waren. Diesen unterstanden sogenannte Kantone. Nordhausen wurde Distrikthauptstadt und gehörte zum Harzdepartement. Bleicherode wurde westfälische Kantonshauptstadt; zu diesem Kanton gehörten die Ortschaften Nieder- und Obergebra, Sollstedt, Friedrichroda, Wülfingerode, Ascherode, Utterode, Lipprechterode, Kleinbodungen und Kehmstedt. Der Franc wurde als Reichswährung eingeführt.


Die Neuerungen im öffentlichen Leben, die die neue Regierung anstrebte, wurden anfangs begeistert aufgenommen, brachten sie den Menschen in bisher nicht bekannter Weise Freiheit und Gleichheit. Der jedoch immer schwerer lastende Steuerdruck und die ständigen Aushebungen für die Armee ließen die Menschen ein Ende der Fremdherrschaft herbeisehnen.

Erst die Niederlage Napoleons in der Völkerschlacht bei Leipzig sollte diesen Wunsch jedoch erfüllen.

Am Ende der Befreiungskriege wurde der Distrikt Nordhausen von Preußen besetzt und nach Rückhabe der braunschweigischen und hannoverschen Ortschaften aus dem Rest des Distrikts Nordhausen, der Grafschaft Hohnstein und der Stadt Nordhausen der Kreis Nordhausen gebildet.


Der große Brand zu Kehmstedt im Jahre 1876

Das Jahr 1876 brachte für den Ort Kehmstedt eine große Brandkatastrophe.


"Am 24. September 1876 nachmittags gegen 15:30 Uhr erscholl plötzlich die große Kirchenglocke. Sie läutete Sturm, ein Zeichen, dass im Heimatort Feuer ausgebrochen war. Mitten im Dorf brannte es im Bauernhof der Familie Schuster. Die Gefahr war sehr groß, da ziemlich starker Westwind vorherrschte. Andererseits waren viele Einwohner auch im Felde mit der Kartoffelernte beschäftigt. So kam es, dass das Feuer sehr schnell Verbreitung fand. Die herbeigeeilten Spritzen konnten infolge des Windes und schnellen Umsichgreifen des Brandes wenig ausrichten. Plötzlich flog ein brennender Gegenstand (vermutlich ein Bienenkorb oder eine Seite Speck) aus dem Feuer auf, wurde durch den Wind über die Häuser getragen, verfing sich in einem Birnbaum, der dicht an der Scheune des Bauern Kohlhase stand, die Scheune stand daraufhin sofort in Flammen. Der Ort brannte nun von 2 Seiten. Von Kohlhasen’s griff das Feuer weiter auf die Nachbarn Hendrich (oder auch Herntrich) und Hatzky. In wenigen Stunden brannte der größte Teil des Ortes nieder. Die Kirche und Pfarre blieben verschont, letztere dadurch, daß der Giebel mit Ziegeln behangen war, die wohl die größte Hitze des brennenden Hofes von Hesse abgefangen hatte. Von den Bauernhöfen Schmidt, Hatzky und Genzel brannten die Ställe und Wirtschaftsgebäude ab, die Wohnhäuser blieben erhalten.

 

Abgebrannt waren in der Folge die Bauernhöfe Schuster, Brechel, Ropte, Schütze, Keßler, Hesse, Hartlep, Hendrich, die Dorfschenke, Schwarzberg, Kroneberg, das Schulhaus sowie alle Häuser der Kirchgasse, Kirchner, Probst, Völkel und Hartmann an der Kirche.

 

Der Schaden an Vieh und allen anderen Gütern des Hausrates war beträchtlich, da die meisten Bewohner im Felde waren und nichts retten konnten. Schweine und Hühner wurden ein Raub der Flammen, die gesamte Ernte und das Futter wurden vernichtet. Der Verlust bei Pferden und Rindvieh war dagegen gering, da sie mit auf dem Feld zur Ernte waren. Der Lehrer Birkefeld, welcher an Asthma litt, musste aus der Schule getragen werden und verstarb wenige Tage später im Krankenhaus in Bleicherode."

 

[Nach den Aufzeichnungen des G. Meyer vom 18. September 1956, der die Brandkatastrophe als 9jähriger Junge miterlebte, in: Planungsbüro Uwe Siegel: Dorfentwicklungsplan Kehmstedt 2006-2010, S. 13-14.] 

Kehmstedt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Das Leben auf dem Lande, im 19. Jahrhundert noch geprägt von harter Arbeit in der Landwirtschaft, deren karger Verdienst mit Leineweberarbeiten aufgebessert werden musste, änderte sich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem Ausbau des Kaliwerks in Bleicherode 1902. Ein großer Teil der männlichen Einwohner Kehmstedts erhielt hier eine Arbeit. Auch das Landschaftsbild veränderte sich in dieser Zeit rasant: zusehends wurden Bahnen und Straßen ausgebaut. Die bis dato gebräuchlichen Petroleumlampen, die für das Dorflicht verwendet wurden, verschwanden nach und nach durch die Verlegung des elektrischen Stroms 1913/14. In zunehmenden Maße gab es auch Telefone.


Einen krassen Einschnitt in diese Aufschwungs- und Fortschrittsentwicklung stellte der 1. Weltkrieg dar. Für an der Front kämpfende Bergleute schickte der Staat Kriegsgefangene und auch Frauen unter Tage, die bei langen Arbeitszeiten für wenig Lohn arbeiten mussten. Die Arbeit in der Landwirtschaft lastete zudem vor allem auf den Frauen und Kindern.

1916 ernteten die Bauern in Kehmstedt nur die Hälfte der Kartoffeln. Das Volk litt Hunger und Not. Im Krieg ließen 25 Männer aus Kehmstedt ihr Leben. Ihnen zum Gedenken wurde das Kriegerdenkmal vor der Kirche aufgestellt und in der Kirche Tafeln angebracht, auf denen die Namen aller Gefallenen und Vermissten aufgeführt sind.


Nach einer kurzen Zeit des Aufschwungs in den "goldenen 20er Jahren", stürzte Deutschland in eine tiefe Rezession. Mit Beginn des Jahres 1932 waren in ganz Deutschland 6 Millionen Menschen ohne Arbeit. In Kehmstedt waren es 106 Einwohner. Sie musste für wenige Pfennige Notstandsarbeiten in der Gemeinde verrichten wie Aufräumungsarbeiten im Wald und in der Feldflur oder dem Wegebau. Durch die von den Nazis angekurbelte Rüstungswirtschaft gingen die Arbeitslosenzahlen seit 1933 ständig zurück. Die ideologische Beeinflussung durchdrang alle Lebensbereiche und hatte insbesondere großen Einfluss auf die Jugend. Die ersten Wahlerfolge der Nationalsozialisten wurden durch die Unzufriedenheit der Menschen mit den Weimarer Parteien und einer geschickten Massenpropaganda möglich.

Mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 entfesselten die faschistischen Kräfte einen neuen Weltkrieg. Die wehrfähigen Männer wurden gemustert und eingezogen. Viele kehrten nicht nach Hause zurück.

Als am 10. April 1945 die ersten amerikanischen Panzer von Bliedungen kommend durch Kehmstedt fuhren, endet eine sechsjährige Kriegslast.

Gemäß des Beschlusses der Konferenz von Jalta räumten die US-Truppen am 30. Juni 1945 die von ihnen besetzten Gebiete in Thüringen und Sachsen. Anfang Juli trafen die ersten Russen in Kehmstedt ein.


Foto: Claudia Heise

Kehmstedt bis 1989/1990

Seit dem 9. Juli 1945 ordnete die sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) die Gründung der Länder Mecklenburg, Sachsen, Thüringen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt, einschließlich des Aufbaus der Landesverwaltungen, an. Kehmstedt kam zum Land Thüringen, im Zuge der Verwaltungsneugliederung im Jahre 1952 wurde dann der Bezirk Erfurt gebildet. Die wirtschaftlichen und administrativen Maßnahmen der vier Siegermächte in ihren Besatzungszonen führten sehr schnell zu einer Differenzierung der Lebensumstände, in der sowjetischen Besatzungszone einerseits, den drei Westzonen andererseits.


Im Juni 1946 schloss die SMAD die Demarkationslinie zwischen ihrer und der britischen Zone. Daraufhin setzte eine große Fluchtbewegung in den Westen ein. Von 1950 bis 1961 verließen über 150 Männer, Frauen und Kinder den Ort.

Am 13. August 1961 wurde mit dem Bau der Mauer begonnen.


Bereits 1949 erfolgte die Gründung der DDR. Die Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone nach der Staatsgründung war hauptsächlich gekennzeichnet durch den Ausbau der DDR zu einer "Volksdemokratie" nach dem Vorbild anderer kommunistischer Staaten mit dem Ziel der Eingliederung in den Sowjetblock, unter immer undurchlässigerer Abgrenzung gegenüber dem Westen. Die Regierung der DDR veränderte planmäßig die Wirtschaftsstruktur und damit die Siedlungen. Die mittelalterliche Dorfstruktur ging verloren, das Dorf entwickelte sich zur Schlafstätte für Landarbeiter und Pendler in die städtischen Betriebe. Alte Wirtschaftsgebäude verloren ihre Funktion. An ihre stelle traten Großställe, Lager, Silos, Landmaschinenstationen und Werkstätten. Viele jüngere Leute verließen den Ort und zogen in die Städte. Die Feldflur wurde in Großblöcke aufgeteilt. 1960 erfolgte in Kehmstedt die Gründung der ersten landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, der "LPG Heimatland".


Über vier Jahrzehnte vollzog sich in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens eine Entwicklung nach sowjetischem Vorbild und eine Einordnung der DDR-Wirtschaft in das Planungssystem der Ostblockländer.

Tiefgreifende Veränderungen wurden im Herbst 1989 durch die Massenflucht von Urlaubern aus der DDR über Ungarn in die BRD ausgelöst. Auf friedlichem Wege wurde die deutsche Einigung erreicht und mit dem "Beitritt" der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 vollzogen. Damit fing in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens eine komplizierte, finanziell sehr aufwendige Wiedervereinigung an.


Derzeit endet unsere Dorfchronik mit dem Jahr 2001.


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Bildnachweise

Pixabay.

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